Bauernsterben: Markt, Macht, Milch

Von Jakob Augstein:

Haben Sie es bemerkt? Milch ist billig wie nie <http://www.spiegel.de/wirtschaft/unternehmen/milchpreis-fuer-bauern-faellt-teils-unter-20-cent-a-1092599.html> . Der Markt macht’s. Das Angebot ist zu hoch. Die Nachfrage zu niedrig. Die Folge: Bauernsterben. Aber ganz still und leise. Es gibt keine Revolution. Im Allgäu färbt sich kein Bach – weder rot noch weiß. Kein Traktorenkonvoi legt München lahm. Die Bauern sind einfach am Ende. Sie schließen ihre Höfe. Manche hängen sich auf. Die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ – ausgerechnet das wirtschaftsliberale Blatt – hat die Deutschen jetzt daran erinnert, dass ein niedriger Preis einen hohen nach sich ziehen kann: Eine Kultur stirbt.

Kühe sind liebevolle Tiere mit sanften Augen, feuchten Nasen und zärtlichen Zungen. Die weichen Blondes d’Aquitaine. Die frohwüchsigen Canadiennes. Die unentbehrlichen Schwarzbunten, mit den tief am Euterboden sitzenden, nach unten weisenden, mittelgroßen und langen Zitzen! Es ist eine Lust, Kühen dabei zuzusehen, wie sie in gleichmütiger Würde und tiefem Ernst ins Nichts blicken und mit ihren Kiefern das grüne Gras mahlen. Kühe sind, mit einem Wort, schön.

Aber wir leben in einer Welt aus Zahlen. Manche Menschen können sich Dinge leichter vorstellen, die man rechnen kann. Stellen Sie sich also eine Kuh vor: Sie kostet 1600 Euro, sie wiegt 650 Kilo. Nach dem ersten Kalb kann man sie melken, mit 30 Monaten. Sie trinkt bis zu 150 Liter Wasser und frisst etwa 50 Kilo Futter. Sie produziert mehr als 50 Liter Gülle und gibt um die 20 Liter Milch. Alles an einem Tag. Aber ein Bauer bekommt für einen Liter Milch teils keine 20 Cent mehr. Vor zwei Jahren war es das Doppelte. Noch eine Zahl? Seit 2009 haben mehr als 20.000 Milchbauern aufgegeben.

Jeder hat eine Meinung. Kaum einer hat Ahnung

Leider sind die Bauern alles andere als auf Krawall gebürstet. Das ist auch eine Frage der Funktionäre. Da ist kein Thomas Münzer in ihren Reihen, der Aldi und Rewe damit droht, dass der Herr „einen sehr dicken Zorn“ über sie schütten wird. Statt dessen nur ländliche Larmoyanz.

Neulich konnte man in einer Zeitung lesen, wie der Präsident des Bauernverbands von Schleswig-Holstein seinen Landwirten aus der Seele sprach: „Ich kann Ihnen heute sagen, dass unsere Landwirtschaft so gut ist wie vielleicht nie zuvor und dass sie weltweit ihresgleichen sucht. Sie werden mir das glauben, denn Sie kennen die Fakten. Aber erzählen Sie dies einmal einem Journalisten, einem Tier- oder Umweltschützer.“

Es verfallen nicht nur die Preise. Es verfällt das Vertrauen. Die Bauern werden scheel angesehen. Als handelten sie mit Sondermüll. Jeder hat eine Meinung. Kaum einer hat Ahnung. Sind Antibiotika in der Milch? Und Hormone im Fleisch? Politiker und Journalisten kennen das schon: die Leute glauben ihnen einfach nicht mehr. Inzwischen ist auch die Landwirtschaft erfasst.

Aber die Leute haben sonderbare Vorstellungen: Sie wollen gute Lebensmittel, zu bezahlbaren Preise, die jederzeit lieferbar sein sollen, aber das Wort „industriell“ wollen sie in dem Zusammenhang nicht hören. Und das Schreddern von Hähnchenküken soll bitte auch aufhören. Nie ist der Mensch so bigott wie in seiner Rolle als Verbraucher. Fair Trade soll für Kaffee-Pflanzer aus Costa Rica gelten – aber nicht für Milchwirte aus Memmingen.

Staatshilfen gegen den Preisverfall!

Wer interessiert sich jenseits des Skandals denn noch für die Landwirtschaft? Vielleicht wegen der Natur, ja. Aber je mehr sich der Mensch für die Natur interessiert, desto weiter hat er sich von ihr entfernt. Zu Beginn der Sechziger Jahre hat der Philosoph Joachim Ritter geschrieben: „Nicht die Felder vor der Stadt, der Strom als Grenze, ‚Handelsweg‘ und ‚Problem der Brückenbauer‘, nicht die Gebirge und Steppen der Hirten und Karawanen (oder der Ölsucher) sind als solche schon ‚Landschaft‘. Sie werden dies erst, wenn sich der Mensch ihnen ohne praktischen Zweck in ‚freier’ genießender Anschauung zuwendet.“ Wer den Bauern nur noch als Landpfleger wahrnehmen kann, der ist dessen Arbeit schon ganz entfremdet.

Immerhin, in der „FAZ“ konnte Herausgeber Berthold Kohler dem Thema einen strategischen Aspekt abgewinnen. Ihm fällt Putin ein. Selbstversorgung. Kohler evoziert sogar das Bild der Grenzen in Europa, die immer noch mit Gewalt verschoben werden können. Er denkt an die Bundeswehr. Milch und Militär. Es ist eine verzweifelte Lage. Und verzweifelte Lagen sind der Moment für verzweifelte Forderungen: Die Milchbauern fordern Staatshilfen gegen den Preisverfall! Romuald Schaber ist der Chef des BDM – das ist der Bundesverband Deutscher Milchviehhalter – und verlangt eine Anti-Melk-Prämie: „Wir fordern 30 Cent für jeden nicht produzierten Liter.“

Das könnte ein Weg sein, nicht nur für Landwirte. Man sollte viel mehr Leute dafür bezahlen, ihre Arbeit nicht zu tun: zum Beispiel Journalisten für nicht geschriebene Artikel.

Quelle: http://www.spiegel.de/politik/deutschland/milchpreis-landwirtschaft-in-der-krise-kolumne-a-1093038.html (Zugriff 19.05.2016,14:10 Uhr)

Bild: M_hofi777/fotolia

Categories: Agrarpolitik, Ernährung, Landschaftsverbrauch, Landwirtschaft, Lebensmittelproduktion, Ökonomie und Politik