Das Bundesamt für Naturschutz (BfN) stellt erstmals einen umfassenden Agrar-Report zur biologischen Vielfalt vor.

Praktisch alle Tier- und Pflanzengruppen in der Agrarlandschaft sind von einem eklatanten Schwund betroffen. Besonders deutlich wird dies beispielsweise bei den Vögeln und den Insekten“, sagt die BfN-Präsidentin Beate Jessel.
Auch das für den Naturschutz besonders wichtige Grünland stehe unter Druck. Jessel stellt hier eine weiter anhaltende deutliche qualitative Verschlechterung des Grünlands fest, die infolge der zunehmend intensiven Bewirtschaftung ungebremst voranschreite.
„Alarmierend ist, dass dadurch mittlerweile verbreitet auch blütenreiche Mähwiesen mittlerer Bewirtschaftungsintensitäten massiv unter Druck geraten.“ Etwa 40 Prozent der in Deutschland gefährdeten Arten der Farn- und Blütenpflanzen haben ihr Hauptvorkommen im Grünland. Hier ist eine Entwicklung vorgezeichnet, die bei früher typischen Ackerwildkräutern wie Acker-Rittersporn und Sommer-Adonisröschen oder anderen, heute nur noch selten zu findenden und extrem gefährdeten Arten schon weit fortgeschritten ist: Im Inneren von Ackerflächen ist ihre Anzahl bereits um mehr als 70 Prozent gesunken.
Aber nicht nur die Nahrungsgrundlage und der Lebensraum vieler Insekten und Agrarvögel geht verloren. Auch wichtige Ökosystemleistungen könnten immer weniger erbracht werden. Betroffen davon ist laut Jessel nicht nur die Landwirtschaft, die beispielsweise auf die Bestäubung angewiesen ist. In der breiten Bevölkerung werde der Verlust von Ökosystemleistungen spürbar, wenn beispielsweise die Wasserqualität schlechter wird. Eine nicht standortgerechte oder nicht naturverträgliche Landbewirtschaftung verursache damit auch erhebliche volkswirtschaftliche Kosten, so die Präsidentin weiter.
Ihrer Meinung nach hat die EU-Agrarpolitik versagt und mit ihr die Umsetzung der GAP in Deutschland. Als Beispiel nennt sie die Ökologischen Vorrangflächen des Greenings. Hier würden die Landwirte Zwischenfrüchte und Leguminosen anbauen, die keinen Mehrwert für die biologische Vielfalt erbrächten. „Gemessen an den eingesetzten Finanzmitteln – jährlich werden etwa 1,5 Milliarden Euro als Greening-Prämie für Landwirte in Deutschland vorgesehen – müssen die Vorrangflächen wie auch das Greening als solches daher als weitgehend wirkungslose und gleichzeitig zu teure Fehlentwicklung bezeichnet werden“, kritisiert die Professorin.
Ihre Idee einer GAP:
- Konsequente Ausrichtung von Zahlungen an die Landwirtschaft am Gemeinwohlprinzip nach dem Grundsatz „Öffentliches Geld für öffentliche Leistungen“. Finanzielle Mittel in ausreichender Höhe sind hierfür bereitzustellen.
- Schaffung von Anreizen für eine naturverträgliche, standortangepasste und damit nachhaltige Bewirtschaftung einschließlich der Sicherung von ökologischen Leistungen bei drastischer Reduzierung des administrativen Aufwands und Vereinfachung der Kontrollregelungen.
- Sicherstellung eines Mindestmaßes an Biodiversität auch in Intensivregionen – unter anderem durch konsequente Einhaltung eines zu optimierenden ordnungsrechtlichen Rahmens.
Der Agrar-Report des Bundesamtes für Naturschutz steht unter folgendem Link zum Download bereit: http://www.bfn.de/fileadmin/BfN/landwirtschaft/Dokumente/BfN-Agrar-Report_2017.pdf
Eine grundlegende Agrarreformen in Berlin und in Brüssel fordert auch Hubert Weiger vom BUND. „Die auf Agrochemie und auf industrieller Tierhaltung basierende Landwirtschaft ist Hauptverursacher des Artensterbens. Der Artenschwund in der Agrarlandschaft, die Gewässerbelastung und das rasante Höfesterben, das alles ist miteinander verbunden. Die künftige Bundesregierung muss einen Fahrplan vorlegen, wie die Biodiversitätsziele erreicht und gleichzeitig bäuerliche und ökologische Betriebe gesichert werden können“, sagte er als Reaktion auf die Veröffentlichung des BfN-Papiers. Damit nicht nur Agrar-Großbetriebe von EU-Prämien profitieren, müsse öffentliches Geld an öffentliche Leistungen gekoppelt werden.
Und Christoph Heinrich, Vorstand Naturschutz beim WWF Deutschland, meint, dass Weiden, Wiesen und Äcker von „überdüngten, gleichförmigen Monokulturen“ verdrängt würden. Es droht eine stumme, monotone Agrarlandschaft. Opfer der Intensivierung seien letztlich auch die Bauern selbst. „Die Zahl der Familienbetriebe nimmt seit Jahrzehnten ungebremst ab. Zugleich zerstören Massentierhaltung, Nitrat– und Antibiotikarückstände im Trinkwasser sowie die Verarmung der Landschaft die Akzeptanz in weiten Teilen der Gesellschaft“, so Heinrich.
Mit Milliarden Euro Steuergeld der GAP wird maßgeblich bestimmt, wie Landwirtschaft in Europa gemacht wird. Die GAP muss daher bei der anstehenden Reform dringend die Landwirte unterstützen, die mit ihrem Wirtschaften aktiv Pflanzen- und Tiervielfalt stärken, schreibt der Öko-Dachverband BÖLW in einer Stellungnahme. Ein nahezu bedingungsloses Verteilen des Geldes auf die gesamte Agrarfläche hingegen bewirke nichts – außer den Pachtpreis anzuheben und diejenigen zu belohnen, die die größten Flächen bewirtschaften.
Die Grünen schließlich bedanken sich für die Rückendeckung durch das BfN. Das helfe der Partei bei der Forderung nach einer Agrarwende. „Ursache für den Artenrückgang sind unter anderem Pestizideinsatz und Monokulturen. Die Agrarwirtschaft sägt an dem Ast, auf dem sie selber sitzt, wenn sie ihre eigenen Produktionsgrundlagen weiter derart kurzsichtig zerstört“, sagt Steffi Lemke, Sprecherin für Naturschutz der Bundestagsfraktion Bündnis 90/Die Grünen.
Der NABU Niedersachsen nutzt die Veröffentlichung unterdessen, um auf die Regelung zu den Gewässerrandstreifen im niedersächsischen Wassergesetz hinzuweisen. So sei in den neuen Regelungen kein ausreichender Schutz der Gewässer in Niedersachsen vorhanden.
Laut Gesetzentwurf soll es an allen Gewässern künftig einen Gewässerschutzstreifen in einer Breite von fünf Metern geben. Allerdings handele es sich nach Beschluss des Kabinetts tatsächlich nur noch um einen ein Meter breiten Schutzstreifen, da Dünge- und Pestizidgaben nach Fachrecht geregelt sein sollen. Nach Fachrecht würden sowohl Dünge- als auch Pestizidgaben bis zu einem Meter möglich bleiben. Somit seien vier der angeblichen fünf Meter Schutzstreifen faktisch ungeschützt.
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Bild: BfN
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