Was siehst Du aber den Splitter in deines Bruders Auge und nimmst nicht wahr den Balken in deinem Auge? Matthäus 7, 3

Splitter waren viele zu sehen auf der Reise nach Argentinien und Paraguay, die eine Reisegruppe unter der Leitung von Brot für die Welt zum Thema Soja-Fakten im November unternommen hat.

In beiden Ländern ist das Rechtssystem nicht wirklich mit unserem vergleichbar. Das gilt vor allem für den Landbesitz. Es gibt kein Katastersystem wie in Deutschland, wo eindeutig geklärt ist, wem das Land gehört. Sowohl in Argentinien als auch in Paraguay gibt es auf dem Papier das Recht der indigenen Bevölkerung auf ihr angestammtes Land. Aber dieses Recht auch durchzusetzen und sich gegen die Vertreibung und die nachfolgende Abholzung des angestammten und seit unzähligen Generationen bewohnten Gebietes zu wehren ist etwas ganz anderes. Die Organisation Asociana steht den indigenen Wichi-Indianern in Argentien dabei mit Rechtsberatung zur Seite und ist einer der Projektpartner von Brot für die Welt (BfdW), die die Reisegruppe besucht hat.

Die ungleiche und ungerechte Verteilung von Landbesitz hat mich schockiert. Vor allem, weil diese bis heute durch Rodung und Urbarmachung fortgeschrieben und sogar verstärkt wird. Warum organisiert eine Gesellschaft das nicht anders? So Dr. Jürgen Wilhelm, Abteilungsleiter im Ministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz.

Es gibt viele Großgrundbesitzer, die z.T. mehr als 20.000 ha (ein Hektar = 10.000m²) bewirtschaften und vorwiegend Soja im Wechsel mit Weizen und Mais anbauen. Die Sojabohnen gehen zum Großteil in den Export und dienen in China, aber auch in Europa, als Eiweißfutter für die Nutztiere. Für das, was später als Schnitzel oder Hähnchenbrust bei uns auf dem Teller landet.

Die Landwirtschaft in Argentinien und Paraguay ist auf Wachstum und Export orientiert, die hohen Exportzölle für argentinische Agrarprodukte werden von der aktuellen Regierung gerade massiv gesenkt. Die Exportabgaben stellen für Argentinien einen wesentlichen Bestandteil der Staatseinnahmen dar. Mit der Senkung der Exportabgaben stehen sofort Ausgaben im sozialen Bereich zur Disposition.

Argentinien könnte nach eigenen Angaben 400 Mio. Menschen ernähren und möchte sich auch mit Hilfe der Agrar- und Ernährungsindustrie zu einem wohlhabenderen Land entwickeln. Die neue Wirtschaftspolitik macht Investitionen in die Landwirtschaft lukrativer, und weckt die Begehrlichkeiten nach noch mehr Land. Da fruchtbares Land aber begrenzt ist, versuchen die Investoren, durch Abholzung großer Waldgebiete immer mehr Ackerflächen zu gewinnen. In Argentinien waren das nach Auskunft von Ana Alvares (Asociana) 2015 2,5 Millionen ha Wald. Dass dieses Land Lebensraum von Menschen und Tieren ist, wird dabei ignoriert, die bestehenden Gesetze werden zugunsten der Agrarindustrie verändert oder einfach gebrochen.

Das ist die eine Seite des Soja-Anbaus. Vertreibung der indigenen Bevölkerung, Abholzung, Brandrodung. Die andere Seite ist der massive Einsatz von  Dünger und von Unkrautvernichtungsmitteln, der möglich ist, weil genverändertes Saatgut eingesetzt wird, das gegen den Wirkstoff Glyphosat resistent ist. Allerdings sind zunehmend auch die „Unkräuter“ resistent und können zum Teil nur noch manuell entfernt werden.  Der hohe Einsatz von Pestiziden verseucht das Oberflächenwasser, das so für  Mensch und Tier nicht mehr nutzbar ist. Dazu kommen im tropischen Klima mit heftigen Regenfällen massive Erosionsschäden, die den fruchtbaren Boden wegschwemmen, wenn der nicht mehr durch Pflanzen geschützt ist. Eine Umweltgesetzgebung, die annähernd so wirkungsvoll wie die in Europa ist, gibt es leider nicht.

„Die Reise war eine Konfrontation – mit Armut, mit Unrecht, mit Ungleichheit. Wir können helfen. Wenn wir helfen wollen. Danke an Brot für die Welt!“ so Berndt Tietjen, Leiter der Akademie Junglandwirte Niedersachsen.

Menschen, die sich gegen diese Ungerechtigkeit stemmen, sind die Projektpartner von BfdW.  Unter anderem Acociana in Argentinien und Oguasu in Paraguay. In ihrem Kampf geht es auch darum, den indigenen Gemeinschaften den Spielraum zu erhalten, in dem sie selbst entscheiden können, wie sehr sie sich an die westliche Kultur angleichen und wie weit sie an ihrer teilweise jahrtausendealten Kultur festhalten möchten. Wenn ihnen ihr Land genommen wird, verlieren sie diese Möglichkeit und landen zum Beispiel in den Barrios (Slums) von Buenos Aires. Auch dort bilden sich Gruppen, die den Landflüchtigen bei Fragen der Gesundheitsfürsorge, der Aufenthaltserlaubnis und allgemeinen Rechtsfragen zur Seite stehen.

Welches Fazit ziehen nun die Reisenden?

Zuallererst: Wie dankbar kann ich sein, in einem Rechtsstaat zu leben und all das zu haben, was ich so oft als selbstverständlich betrachte: Nahrung, Kleidung, ein Dach über dem Kopf und eine Arbeit, die mich ernährt. , so Ricarda Rabe, Kirchlicher Dienst auf dem Land der Hannoverschen Landeskirche.

Es stellen sich aber auch Fragen nach dem Balken im eigenen Auge. Fragen, die unsere Art zu leben und Landwirtschaft zu betreiben kritisch beleuchten: Ist eine auf globalen Export ausgerichtete Landwirtschaft wirklich der richtige Weg? Wer zahlt den Preis dafür? Wie können Landwirte in Deutschland und weltweit von ihrer Arbeit leben, ohne dabei sich selbst und die Natur auszubeuten? Welchen Beitrag kann die Politik durch eine andere Gesetzgebung, aber auch wir alle als Verbraucher beitragen – z.B., indem wir weniger Fleisch konsumieren und mit Lebensmitteln insgesamt sorgsamer umgehen?

Muss nicht ein generelles Umdenken weg vom immer mehr, vom Dogma des Wachstums,  hin zu einer Ethik des Genug erfolgen, damit auch nachfolgende Generationen noch die Chance auf ein gutes Leben haben? Sind wir das nicht auch der Natur, oder, theologisch gesprochen, dem Schöpfer und seiner Schöpfung schuldig?

Ricarda Rabe, KDL Hannover

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