Was sind uns Lebensmittel wert? Hohebucher Agrargespräch mit Experten.

Schmecken soll es, preislich günstig sein, alle satt machen und dann auch noch ethischen Ansprüchen genügen: das täglich Brot, das stellvertretend für alle Lebensmittel steht. Dass diese vielfältigen und unterschiedlichen Erwartungen nicht nur für die Landwirtschaft eine Herausforderung darstellen, sondern für die gesamte Kette der Ernährungswirtschaft, das wurde beim Hohebucher Agrargespräch des Evangelischen Bauernwerks offenkundig.
Dr. Clemens Dirscherl, Geschäftsführer des Evangelischen Bauernwerks und EKD-Agrarbeauftragter, zeigte die unterschiedlichen Wertigkeiten von Lebensmitteln auf: Brot habe eine materielle Dimension (die Kostenfrage), eine physiologische (Sättigung), eine öko-logische (Schöpfungsbewahrung) sowie eine sozialkulturelle (Kulturgut) und nicht zuletzt auch eine politische, so dass Essen mit einem Moralprofil verbunden sei.
Prof. Dr. Theo Gottwald von der Schweisfurth Stiftung in München zitierte dazu Oscar Wilde, der die „Billigmanie“ der modernen Gesellschaft beklagt hatte: man kenne von allem den Preis, aber von nichts den wahren Wert. Damit beschrieb Gottwald den Wettbewerb, der innerhalb der Ernährungswirtschaft vorherrsche: es gehe nur noch darum wer es günstiger könne und nicht wer wertvollere Lebensmittel herstelle. Dabei schiele man einseitig auf Profit und Produktionskostenvorteile, ohne die langfristigen Folgekosten und die ethische Verantwortung zu berücksichtigen. Eine deutliche Sprache sprechen für den Philosophen die Zahlenverhältnisse: nicht einmal mehr 12% geben die Deutschen für ihre Lebensmittel aus – „beschämend gering“ im Vergleich zu Urlaub, Freizeit, Wohnungseinrichtung, Auto oder Unterhaltungselektronik. 7 Milliarden Verbraucher stünden weltweit 500 Lebensmittelherstellern, vier Welthandelshäusern, 30 Supermarktketten gegenüber. Damit würden auch die rund 1,5 Milliarden Bauernfamilien zerrieben, indem sie in eine Kostenspirale nach unten getrieben würden.
Als Vertreter der Lebensmittelwirtschaft setzte sich der Geschäftsführer des gleichnamigen Verbandes, Stephan Becker-Sonnenschein, mit der Wahrnehmung von Lebensmitteln auseinander, wobei er sich als Kommunikationswissenschaftler auf die Informations- und Öffentlichkeitsarbeit konzentrierte. Eine zunehmend kritisch werdende Medienöffentlichkeit, gefüttert von Negativbildern bestimmter Nichtregierungsorganisationen, sorge für eine schlechte Berichterstattung. Er sah seine eigene Branche in der Pflicht, offener, selbstkritischer und auch werteorientierter mit Medien und Gesellschaft zu kommunizieren.
Dass auch der Lebensmitteleinzelhandel seiner Verantwortung für mehr Wertschätzung und Wertschöpfung von Lebensmitteln wahrnehmen wolle, zeigte Florian Schütze, Leiter der Ab-teilung Gesellschaft, Umwelt und Nachhaltigkeit von LIDL International auf. Am Beispiel der Eigenmarke „Ein gutes Stück Heimat“ würden in Bayern bei der Milch Akzente gesetzt mit gentechnikfreier Fütterung der Kühe und hohen Qualitätsstandards. Auch für Fleisch und Wurstwaren seien ähnliche Aktionen geplant, wobei die Bauern dann auch eine Vergütung für die erhöhten Qualitätsauflagen erhalten würden. Ähnliche Programme setzt LIDL auch beim nachhaltigen Kakaoanbau in kleinbäuerlichen Strukturen der Elfenbeinküste, um Schoko-Erzeugnisse mit Fair Trade Siegel zu vermarkten.
Wenig überzeugend war das für Christiane Manthey von der Verbraucherzentrale Baden-Württemberg: die Flut an Siegeln suggeriere oftmals Qualitätsstandards und regionale Herkunft, deren Einhaltung gar nicht richtig kontrolliert werden könne und die Verbraucher sogar eher verunsichere.
Wem könne man heute überhaupt noch vertrauen, so stellte sie die Frage an Ernährungswirtschaft und Lebensmitteleinzelhandel. Sie unterstellte ein „Green Washing“ bzw. Ethikpropaganda, um dem gesellschaftlichen Mainstreaming gerecht zu wer-den. Die Bereitschaft der Verbraucher zu höheren Qualitätsstandards und deren Bezahlung sah sie durchaus gegeben, wenn nachvollziehbare Gütereigenschaften auch plausibel begründbar seien. Wenig hält sie von Moralappellen zu einem ethischen Konsum, um die hei-mische Landwirtschaft zu unterstützen. Hier sei die Preisbildung am Markt maßgeblich.
In der anschließenden Diskussion unter den über 100 Tagungsgästen, wurde die Flut an Gütesiegeln und Qualitätsanforderungen und Kontrollen beklagt, welche zwar schönes und dekoratives Beiwerk zur Werbung darstellten, aber wenig zur Wertschöpfung innerhalb der Landwirtschaft beitragen würden. Einige sahen die Politik gefordert, die Konzentration in Ernährungswirtschaft und Lebensmittelhandel zu unterbinden, wieder andere fragten den LIDL-Vertreter, inwiefern die Firma auch ihrer Verantwortung für die heimische Landwirtschaft gerecht würde, wenn bei Fleisch oder Milch die Wertschätzung von Lebensmitteln durch Preispoker mit den Erzeugern beschädigt würden.
Dr. Clemens Dirscherl
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